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Kettwiger BildGeschichten

Waschfrauen_Ketwiger_Bildgeschichten.jpg
"Waschfrauen 1896"

Foto von 1896 aus dem Besitz der Familie Volkmann, heute Archiv KMGF

 

 

Auf uns wirkt das Foto von 1896 wie wie ein Gruß aus der guten alten Zeit. Das Sonnenlicht spiegelt sich im Wasser des Mühlengrabens. Die Frauen auf der städtischen Bleiche haben sich freundlich dem Fotografen zugewandt. Die evangelische Kirche und die eng aneinander geschmiegten Häuser prägen die Altstadt von Kettwig, damals wie heute. Die Kirchturmuhr schlägt nur zur vollen Stunde, es gab weder einen Minutenzeiger noch eine Viertelstundenglocke. Die Fülle an weißer Wäsche weist auf bürgerlichen Wohlstand.

 

Aber das Foto zeigt uns auch, welche soziale Rolle den Frauen im 19. Jahrhundert zugewiesen war. Das Führen des Haushaltes war Aufgabe der Frauen, sie hatten demnach auch für saubere Wäsche zu sorgen. Für Männer galt es als unschicklich, den Frauen bei dieser Arbeit zu helfen. Der einzige Mann auf der Bleiche wird der Fotograf hinter der Plattenkamera gewesen sein.

 

Waschen war harte Schwerstarbeit, die sich über Tage hinzog. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gab es keine maschinellen Hilfsmittel. Gewaschen wurde auf dem Waschbrett oder der Waschbank. Als Waschmittel dienten Holzasche oder Soda, Seife, Blaumittel und Stärke.

 

Das Waschen der Wäsche bestand nach Karin Hausen (1) aus folgenden Einzelschritten:

sortieren, einweichen, kochen, auswaschen, spülen, bleichen, bläuen, auswinden, evntl. stärken, trocknen, aussortieren der Flickwäsche, einfeuchten, mangeln/rollen der vorher gereckten glatten Stücke, plätten/bügeln, verstauen.

 

Männer sollten aber durch diese Arbeiten keinesfalls belästigt werden. In einem „Buch für erwachsene Mädchen und junge Frauen“ von 1893 (2) werden die Frauen ermahnt, wegen der großen Wäsche die „Hausordnung nicht auf den Kopf zu stellen“ und „die Behaglichkeit des Hausherrn nicht allzu sehr zu stören."

 

Arbeiterfrauen ließen sich von ihren Töchtern helfen. In wohlhabenden bürgerlichen Haushalten stand die Hausfrau nicht selbst am Waschbrett, sondern das Waschen war Aufgabe der Dienstmädchen. Es entstand darüber hinaus der Lohnberuf der Wäscherin, der um 1900 zu den meistausgeübten Frauenberufen gehörte.

 

Wir sehen auf dem Foto Waschkörbe und Schubkarren, die als Transportmittel für die Wäsche dienten.

 

Da sich die weiße Wäsche mit der Zeit und durch ständigen Gebrauch gelblich bis grau verfärbte, wurden die Wäschestücke nass auf die Wiese gelegt und in der Sonne gebleicht. Dieses Verfahren setzt nützliche chemische Reaktionen in Gang, wenn die Wäsche ständig feucht gehalten wird. Mit Wasser gefüllte Gießkannen aus Metall „erleichterten“ diese Arbeit. Regelmäßiges Wenden der Wäschestücke war erforderlich, bis die Wäsche den gewünschten Weißgrad erreicht hatte.

 

Nach dem Bleichen mußte die Wäsche noch auf Leinen getrocknet werden, wie am anderen Ufer des Mühlengrabens zu sehen ist.

 

Obwohl es 1896 bereits Bleichsoda gab und ab 1907 auch ein Mittel zum Waschen und Bleichen auf den Markt kam, wird die städtische Bleiche noch bis in die 1930er Jahre genutzt.

 

Links am Bildrand erkennen wir einen Teil der „Tuchfabrik Scheidt“. An Stelle des noch erhaltenen denkmalgeschützten Turbinenhauses sehen wir ein altes Mühlengebäude. Der Mühlengraben, der eigentlich kein Graben ist, sondern im Ursprung ein Nebenarm der Ruhr, lieferte schon früh die Wasserenergie zum Antrieb von Mühlen. 1372 wurde erstmals die Kettwiger Kornmühle urkundlich erwähnt. Eine 1724 unterhalb der Kornmühle gebaute Walkmühle erleichterte den Kettwiger Webern die Arbeit. Die Mühlen wurden im Laufe ihrer Geschichte auch als Farb- und Schnupftabaksmühlen sowie als Fabrikationsstätten der Tuchfabrik genutzt.

 

Zwischen dem Mühlengraben und dem Hauptarm der Ruhr lag die städtische Bleiche auf einer Insel, die Fährruhr genannt wurde. 230 Jahre, bis 1865 nach dem Bau einer neuen Brücke, konnte nur mit einer Fähre die Ruhr überquert werden. Die Anlegestelle lag nicht direkt am Kettwiger Ufer, sondern an der Fährruhr. Dieser Tatsache verdankt die Fährruhr ihren Namen. Sowohl Fußgänger als auch Fuhrwerke mussten Brücken nutzen, um von der Fährruhr in das Dorf Kettwig zu kommen.

 

1950, mit der Fertigstellung des Stausees, hat der Mühlengraben seine direkten Verbindungen zur Ruhr verloren.

 

Auf die interessante Geschichte des „Verkehrsknotenpunktes“ Fährruhr werde ich in weiteren „BildGeschichten“ näher eingehen.

 

Helmut Wißler

Dezember 2019                

 

(1) Große Wäsche. Technischer Fortschritt und sozialer Wandel in Deutschland vom 18. bis ins 20. Jahrhundert,

(2) Baisch, Amalie

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