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Kettwiger Zeitzeichen Nr. 2

Unser Wochenmarkt

- Abschnitt 1

von Helmut Wißler

- ein aktueller Besuch, mit einem Seitenblick auf eine Polizeiverordnung vom 7. April 1866 (Textstellen aus der Verordnung sind in diesem Abschnitt kursiv dargestellt)

 

Freitagmorgen, in den Sommermonaten gegen 08:00 Uhr, biegen wir, von der Corneliusstraße kommend, in die Kaiserstraße ein. Dass ein Kaiser hoch zu Ross, begleitet von seinem Tross, über diesen Weg gezogen ist, kann ich mir gut vorstellen. Zur Zeit des Reisekönigtums waren Kaiser und Könige ständig in ihrem großen Herrschaftsgebiet unterwegs. Heute ziehen meine Frau und ich mit unserem Einkaufstrolley durch die schöne, historische Kaiserstraße, an deren Ende wir nach links in die Hauptstraße einbiegen. An der evangelischen Kirche und den wasserspeienden Löwenköpfen des Kaiser-Wilhelm-Denkmals vorbei, erreichen wir den Wochenmarkt.

 

§ 7 Der Wochenmarkt findet mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage jeden Dienstag und Freitag statt und zwar auf dem Marktplatze.

 

Der Markt beginnt in den Sommermonaten Mai bis incl. September morgens 7 Uhr, in den übrigen Monaten morgens 8 Uhr; er endet stets mittags 1 Uhr. Fällt auf einen dieser Tage ein gebotener Feiertag, so wird der Markt an dem vorhergehenden Tage abgehalten. Die Uhr der evangelischen Kirche gibt das Zeichen zum Anfang und Ende des Marktes.

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Kettwiger Markt

Zeichnung von Walter Kurowski (um 1960)

aus der Bildermappe des HVV Kettwig „Kettwiger Künstler sehen ihre Heimat“

Der Künstler Walter Kurowski wurde am 20.08.1939 in Kettwig geboren und starb am 18.10.2017 in Oberhausen. Er war Maler, Grafiker, Bildhauer und Jazz-Musiker.

 

§ 16 Müßiges, zweckloses Stillstehen, wodurch die freie Passage leidet, ist unbedingt verboten. Das Umherlaufen von Hunden über den Marktplatz ist nicht gestattet und ist das Mitbringen von Hunden auf den Markt sowohl den Verkäufern als auch den Käufern untersagt. Diejenigen Hunde, welche zum Ziehen der Transportgeräthe benutzt worden sind, müssen nach dem Auspacken der Waren gleich entfernt werden. Ebenso müssen die Wagen usw., selbst wenn sie ausgepackt sind, vom Markte entfernt werden.

 

 

§7 wird auch heute noch weitestgehend eingehalten. § 16 zeigt uns, dass 1866 der Ausdruck „armer Hund“ tatsächlich auch auf Hunde zutraf. Heute jedoch, da der beste Freund des Menschen zum Familienmitglied geworden ist, dient der Hund nicht mehr als Zugtier, sondern begleitet „seinen Menschen“ auch auf den Wochenmarkt.

 

Das damals untersagte müßige, allerdings keinesfalls zwecklose Stillstehen, ist ein wesentlicher Grund für meine Frau und mich den Markt zu besuchen. Nicht geschäftiges, hastiges Einkaufen steht im Vordergrund, sondern der persönliche Kontakt, das Schwätzchen, der zwischenmenschliche Austausch mit Händlern und Besuchern.

 

Der Marktplatz mit seinen Platanen, die im Sommer gerade so viel Licht durchlassen, dass man es als angenehm empfindet, die Gerüche, die Farben, die Formen und, da probieren häufig angesagt ist, der Geschmack, lassen den Marktbesuch für uns auch heute zu einem Erlebnis werden.

 

Wir verlieren aber nicht unser eigentliches Ziel aus den Augen und beginnen mit dem Einkauf von Lebensmitteln die nach §1 der damaligen Polizeiverordnung zulässig sind.

 

Rohe Naturerzeugnisse mit Ausschluß des größeren Viehes,

Fabrikate, deren Erzeugung mit der Land- und Forstwirthschaft,

dem Garten- und Obstbau,

oder der Fischerei in unmittelbarer Verbindung steht

oder zu den Nebenbeschäftigungen der Landleute hiesiger Gegend gehört

oder durch Tagelöhner-Arbeit bewirkt wird,

mit Ausschluß der geistigen Getränke.

 

Das Angebot an Obst- und Gemüse beschränkte sich 1866 auf ein schmales Spektrum aus regionalem Anbau. Hiesige Bauern und Kötter (Kleinbauern) verkauften, was der Boden in der jeweiligen Jahreszeit hergab und den Eigenbedarf überstieg. Unser Wohlstand und unsere veränderten Essgewohnheiten haben dazu geführt, dass inzwischen Obst, Gemüse und Gewürze, auch auf dem Wochenmarkt, aus aller Herren Länder angeboten werden.

 

Mitglieder der Familie Rottmann vom Kotten „im Piwipp“ am Rande der „Icktener Mark“, sind seit mehreren Generationen als Obst- und Gemüsebauern und als -händler auf dem Wochenmarkt vertreten. Hier gibt es weder Aufkleber noch „Beipackzettel“ sondern handfeste Empfehlungen. Welche Waren aus eigenem Anbau sind und welche Kartoffelsorte sich besonders gut für Kartoffelsalat eignet, wird gerne mit auf den Weg gegeben.

 

Auch der Imker Dr. Küching verkauft „Erzeugnisse aus hiesiger Gegend“. Sein Kettwiger Gartenhonig kommt entweder von Mühlendycks Wiese, von der Pierburg hinter der Kapelle Maria im Maien oder vom Ruhrufer bei Ickten. Auf den Gläsern ist sogar die Nummer des jeweiligen Bienenvolkes und die Jahreszeit vermerkt. 1886 hätte Werner Küching auf dem Wochenmarkt sogar vollständige Bienenstöcke verkaufen können.

 

Da die Händler heute nicht mehr mit Hand- oder Hundekarren und auch nicht mit Pferd und Wagen unterwegs sind, wird das reine Kettwiger Angebot erfreulicherweise auch durch auswärtige Händler bereichert.

 

§ 5 Das Abziehen und Ausnehmen von Wildpret und das Rupfen und Ausnehmen des Federviehs auf den Marktplätzen ist untersagt.

 

Lebende Tiere und erlegtes Wild werden auf dem heutigen Markt nicht mehr angeboten. Aber Fleisch und Wurstwaren werden immer noch verkauft. Wurst- und Schinken von Holger Schmidts bereichern jede Woche unseren Speiseplan. Wenn wir das Vergnügen haben, dass uns unser Enkel beim Einkaufen begleitet, bekommt er ein ordentliches Stück Fleischwurst auf die Hand.

 

Natürlich finden wir auch heute „Brod, Semmel und ähnliche Backwaren“ in einer früher nicht gekannten Vielfalt.

 

„Krebse, Muscheln, Fische (frisch, gesalzen, gedörrt oder geräuchert)“  verkauft „Fisch-Nickel“ je nach Jahreszeit auch heute noch.

 

Milch, Butter und Käse gibt es bei Jochen Buers. Kunstbutter (Margarine) war übrigens 1886 ausdrücklich verboten und gehört bis heute nicht zum Sortiment.

 

Der Kettwiger Marktobmann Jochen Buers ist personifizierte Marktgeschichte und steht exemplarisch für die Modernisierung des Marktgeschäftes. Seit 1987 führt er das von den Eltern übernommenen Geschäft, die ab 1968 auf Essener Märkten einen Stand unterhalten haben. Seit 1971 ist das Familienunternehmen auch in Kettwig präsent. Angefangen hat das Geschäft mit 5 Sorten Käse und Margarine. In seiner Jugendzeit hat Jochen Beurs mit seinem Bruder oft noch vor der Schule um 5:00 Uhr den Wagen beladen und auch nach dem Unterricht geholfen, nach Marktende und Schulschluss musste wieder entsprechend umgelagert werden.

 

Heute werden im Winter 500 und im Sommer 200 Käsesorten angeboten, zusätzlich auch weitere Milchprodukte. Während die Familie früher mit Hänger und Lkw unterwegs war, anfangs ohne Kühlung, hat Jochen Beurs heute das Konzept des Verkaufswagens individuell so entwickelt, dass eine stationäre Lagerhaltung entfallen kann. Der Wagen ist Verkaufsraum, Lager und Kühlhaus in einem.

Jochen Buers besucht gemeinsam mit seiner Frau Beate 7 von den insgesamt 27 Märkten in Essen. Viele seiner Kunden kennt das Ehepaar Beurs seit Generationen. Probieren ist Pflicht, umstehende Kunden werden grundsätzlich einbezogen und kommen so auch oft ins Gespräch. Eine junge Frau wollte kürzlich Käse probieren und bat um ein Stück. Sie wollte so die Erinnerungen an die Marktbesuche in ihrer Kindheit wachrufen.

 

„Rohe Steine und Erden, Schiefer, Kalksteine, Feuer-, Wetz- und Schleifsteine, Viehfutter, Blumen und Pflanzen, Hopfen, Brennholz, Steinkohlen, Pfähle, Bretter, Vögel, Knochen und Wachs“

 

werden u.a. in der Polizeiverordnung als zugelassene Waren von 1866 erwähnt. Wer selbst einen Acker, einen Garten oder Vieh besaß, benötigte damals weniger Lebensmittel, sondern Materialien, die ihn in die Lage versetzten, seine weitgehende Selbstversorgung aufrecht zu erhalten. Blumen und Pflanzen werden allerdings auch heute noch verkauft, alles andere wird nicht mehr angeboten.

 

Nach gut einer Stunde, manchmal auch länger, machen wir uns, mit vollbeladenem Trolley, auf den Heimweg Richtung Kaiserstraße.

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Wochenmarkt um 1957

aus der HVV-Festschrift zu den Heimatwochen 1957

Aus früheren Zeiten


- Erinnerungen des Verfassers (ca. 1952 bis 1960):

An Markttagen war ganz Kettwig auf den Beinen. Händler kamen mit Pferd und Wagen, mit kleinen dreirädrigen Transportern oder auch mit großen Lastwagen. Frauen mit Taschen und Körben liefen zum Markt, standen zu zweit und in Gruppen zusammen. Kinder mit ihren Schultornistern liefen auf dem Weg zur Schule erst über den Marktplatz. Rentner und Kriegsversehrte fanden sich ein, weniger zum Einkaufen, sondern um dabei zu sein. Der Krieg ließ Anfang der 50er Jahre noch deutliche Spuren erkennen. „Ein Herz ?, kein Herz ! Das vergesse ich nie. Auf dem Marktplatz hockte ein Mann auf einer Decke. Ihm fehlten beide Beine. Er verkaufte Schnürsenkel. Erst kam die Frage „ein Herz?“, um dann dem achtlos Vorbeilaufenden „kein Herz!“ nachzurufen. Ein gut gekleideter Herr ist mir ebenfalls noch in Erinnerung geblieben, der oft in Begleitung seiner hübschen Tochter auf dem Markt einkaufte. Ihm fehlte die Nase. Für Aufheiterung sorgte dann allerdings die Blumenfrau Mimi Hamacher: „Ehj ihr Saujungens, nehmt mal Blumen mit für „euer Mutter“, morgen ist für euch Muttertag. „Salat, Spinat und meterlange Gurken“ wurden lautstark vom Gemüsehändler angeboten. Im Winter standen in der Nachkriegszeit oft lediglich Steckrüben auf dem Einkaufszettel. Ganze Zuschauertrauben bildeten sich vor Marktständen, an denen redegewandte Händler lautstark spezielle Haushaltsgeräte anboten. Die Händler hatten ihre Fingerfertigkeit lange trainiert. Frustriert landete nach eigenen Versuchen manche technische Revolution im häuslichen Müll.

 

Nach Schulschluss führte mich der Heimweg wieder über den Marktplatz. Der Dienstag und der Freitag waren Markttage, so wie auch heute noch. Ich ließ mich gerne von den vielen Eindrücken ablenken und es wurde spät, bis ich nach Hause kam. Das hat mir oft Ärger mit meiner strengen und auf Ordnung bedachten Mutter eingebracht.

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Wochenmarkt um 1960

Ansichtskarte, um 1960 (Archiv Wißler)

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Heimweg vom Wochenmarkt (über die Heiligenhauser Straße nach Isenbügel)

Foto: Jürgen Wagener, um 1960

- Erinnerungen von Heinrich Kaimer (Anm. 1) (um 1910)

 

Markttag war schon früher dienstags und freitags. Über die Hälfte des Platzes wurde von den „Plante-Frauen“ belegt. Das waren die Kötters Frauen aus dem Isen- oder Langenbügel oder dem „Kettwiger Busch“. Diese brachten im Frühjahr die kleinen Pflänzchen mit, daher Plante-Frauen. Sie hatten ihre Gartenerzeugnisse auf der Erde auf Sackleinen ausgebreitet. Auf Rhabarberblättern wurde noch Quark und selbstgemachte Butter angeboten. Dann war da noch der Mosbach. Er kam aus Essen; bei ihm türmten sich die Apfelsinen zu Berge, 10 Stück zu 30 oder 35 Pfg. Er hatte alle Hände voll zu tun, damit die Schulkinder die Apfelsinen nicht ins Rollen brachten.

Neben dem altbekannten Oskar Füth war von den hiesigen Händlern noch das Gemüse- und Fischgeschäft von Fudika vertreten. Den Fischverkauf besorgte Walter Hackenberg. Walter war eigentlich Anstreicher, malte sehr schöne Bilder und war nebenbei noch Komiker. Nach dem ersten Weltkrieg war er noch lange Jahre als Schleusenwärter tätig.

Nach dem Marktverkauf zogen noch einige Händler durch die Straßen, um ihre Erzeugnisse an die Frauen zu bringen.

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Der vielseitige Herr Hackenberg

Ansichtskarte, um 1910 (Archiv Wißler)

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Gemüsehändler Gustav Teigler, um 1912 (an der früheren Talstraße, heute „An der Seilerei“)

Ansichtskarte, Poststempel 1912 (Archiv Wißler)

- Erinnerungen von Gerhardt Walter, aus „Kettwiger Postgeschichte(n)“ 1999 veröffentlicht, Schilderung vor 1914

 

S. war ein beliebter Landbriefträger rund um die Meisenburg. Sein Zustellbezirk umfasste zahlreiche Kötter, die in der Stadt auch als ständige Marktbeschicker mit eigenen Erzeugnissen bekannt waren. Am liebsten stellte er die Post an Markttagen zu. Er begann seine Zustellung dann mit dem Gang über den Markt, wo er die meisten seiner Kunden vormittags am Markt und nachmittags in der Gaststätte „Treppchen“ antreffen konnte. Die Post wurde damals bis zu dreimal täglich ausgetragen.

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Gaststätte Huffmann, genannt Treppchen, um 1940

Ansichtskarte, Poststempel 1940 (Archiv Wißler)

Fußnoten:

1 Auszug aus „Plauderei über unser altes Kettwig“, 1990 veröffentlicht im „Kettwig Kurier“

Quellen

siehe Abschnitt 3

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